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Ausgabe 02-03/2020

Ein Raketenstart

PORTRÄT. Jung, grün, multikulti – Justizministerin Alma Zadić setzt mit ihrem Amtsantritt Meilensteine in der Geschichte der Zweiten Republik. - Von Karin Pollack

Lehrerinnen können grausam sein. Jene in einer Schule im dritten Bezirk zum Beispiel, die irgendwann Mitte 1990er­Jahren mit ihrer Klasse Textaufgaben durchnahm. Die einzige Schülerin, die nicht gut Deutsch konnte, war die kleine Alma, die erst kürzlich mit ihren Eltern vor dem Krieg aus Bosniennach Österreich geflüchtet war. Sie fragte nach und bekam folgende Antwort: „Wozu, das schaffst du eh nicht.“ Alma Zadić erinnert sich bis heute an diesen Moment.

In einer neuen Schule sollten die Dinge anders werden. In der Volksschule Ortnergasse im 15. Bezirk gab es Extra-Unterricht in Deutsch. Schon bald war das Flüchtlingskind eine brillante Schülerin, absolvierte das Gymnasium, maturierte mit Auszeichnung und studierte Rechtswissenschaften in Mindestzeit. Als Juristin ist sie ganz an die Spitze gekommen. Am 7. Jänner 2020 wurde sie zu Österreichs erster Justizministerin ernannt. Zur Angelobung beim Bundespräsidenten kamen auch Alma Zadićs Eltern. Die beiden im Rahmen dieser Zeremonie kennenzulernen sollte für Grünen-Parteichef Werner Kogler der am meisten berührende Moment an diesem Tag werden. Zadić selbst sagt: „Meinen Eltern habe ich alles zu verdanken.“

Mit der Familie vor dem Bosnienkrieg geflohen

Alma Zadić wurde 1984 in Tuzla geboren und verbrachte dort die erste acht Jahre ihres Lebens. 1992 brach der Bosnienkrieg aus. Die Familie versteckte sich monatelang im Keller. Der Vater, ein Universitätsprofessor für Elektrotechnik, entschloss sich zur Flucht, baute eine Existenz für seine Familie in Wien auf. Alma, ihr Bruder und ihre Mutter verließen 1994 mit einem UN-Hilfskonvoi die Stadt. „Meine Eltern blieben auch nach dem Krieg in Österreich, vor allem auch wegen uns Kindern“, sagt Zadić.

Dass sie nach der Matura Rechtswissenschaften studieren wollte, war naheliegend. „Ich bin Anwältin geworden, weil ich genau wissen wollte, welche Rechte und Pflichten jeder Einzelne hat und wie man die Rechte durchsetzt“, sagte sie in vielen Interviews. 2007 schloss sie das Studium ab, sammelte praktische Erfahrung unter anderen am Internationalen Tribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag. 2010 entschloss sich Zadić für ein Post-Graduate-Studium an der Columbia University in New York. „Dort habe ich verstanden, dass ich mich nicht für eine Identität entscheiden muss, sondern Österreicherin, Bosnierin und Europäerin gleichzeitig sein kann“, sagte sie in vielen Interviews, wenn sie nach ihrer kulturellen Zugehörigkeit gefragt wird. Nach ihrer Rückkehr begann sie 2011 als Anwältin in der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, wo sie schnell Karriere machte. Parallel beendete sie ihr Doktoratsstudium.

„Beim Post-Graduate-Studium an der Columbia University habe ich verstanden, dass ich mich nicht für eine Identität entscheiden muss.“ 

In den ersten drei Politikjahren gab es Höhen und Tiefen

Zur Politik brachten sie zwei Dinge. Zum einen die Flüchtlingswelle 2015, mit der Hetze und Spaltung plötzlich sehr präsent wurden. Das empfand Zadić als große Ungerechtig­keit. Konkret war es aber ihre Freundin Stephanie Cox, die Peter Pilz bei der Gründung einer eigenen Liste unterstützte und Anwältin Alma Zadić beratend dabeihaben wollte. Schließlich gelang es, sie ganz für die Politik zu gewinnen. Seit 2017 ist Alma Zadić Abgeordnete im österreichischen Parlament.

In den ersten drei Jahren ihrer politischen Karriere erlebte sie sämtliche Höhen und Tiefen. Die Partei, in der Zadić gelandet war, strauchelte, Regierungen zerbrachen. Es gab Neuwahlen, bei denen Türkis-Blau das Ruder übernahm. Im Zuge der Geschehnisse nach dem Ibiza-Skandal entschied sich Zadić im Juli 2019, zu den Grünen zu wechseln, und wurde dort mit offenen Armen empfangen. Sie schaffte es auf die Bundesliste. Nach der Wahl holte Grünen-Chef Werner Kogler sie ins Team für die Koalitionsverhandlungen und machte sie schließlich auch zur Justizministerin.

Keine leichte Aufgabe. Das Justizressort ist seit Jahren chronisch unterfinanziert, es fehlt an Personal und Ressourcen. Zadić hat mit Umstrukturierungen begonnen, den mächtigen Sektionschef Christian Pilnacek entmachtet. Sie will Strafrechtslegistik und Einzelstrafsachen wieder trennen, denn nur so könne das Vertrauen in die Justiz gesichert werden. Alma Zadić hat auch „Hass im Netz“ auf ihre Agenda gesetzt, will bessere Rahmenbedingungen für mehr Gerechtigkeit schaffen. Denn mit Hass ist sie selbst immer wieder konfrontiert. Ohne Personenschutz verlässt die Justizministerin nicht das Haus.

Trotz der schwierigen Aufgaben zeichnet Alma Zadić stets ihre große Freundlichkeit aus, mit der es ihr gelingt, selbst ihre Gegner für sich einzunehmen. In der deutschen Wochenzeit­schrift „Die Zeit“ sagte sie über die Koalition: „Wenn zwei unterschiedliche Parteien miteinander koalieren, kann das bewirken, dass unterschiedliche Lager wieder eine gemeinsame Sprache finden. Man muss sich ja nicht gegenseitig überzeu­gen, aber respektvoll miteinander umgehen.“

Die Familie als wichtigste Ressource

Für ihre großen Aufgaben ist bis heute ihre Familie die wichtigste Ressource. „Mein Vater hat mir vermittelt, wie wichtig es ist, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese auch durchzusetzen“, erzählt sie. Seite einigen Wochen wissen wir, dass die Justizministerin gerade ihre eigene Familie gründet. Sie erwartet gerade ihr erstes Kind. Zadić sieht sich auch als Feministin. Ihr politisches Vorbild ist die demokratische US-Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez, so wie sie will sie gegen die strukturelle Benachteiligung von Frauen kämpfen.

Nach ihren Hobbys befragt, sagte die 33-jährige Justizministerin der Zeitschrift „Biber“, dass sie gerne Beachvolleyball spiele – und das „auch im Winter“. Wenn sie Zeit hat, geht sie immer noch gerne am Wienerberg spazieren, für sie das schönste Erholungsgebiet der Stadt. Zadić hat so viel zu tun, dass sie zunehmend weniger über die schlechten Momente in ihrem Leben nachdenkt. Was ihre eigene Identität betrifft, hat sie im Laufe ihres Lebens eine sehr klare Position entwickelt. Österreich ist das Land, in dem sie sozialisiert wurde und lebt, nach Bosnien fährt sie, um ihre Tanten und Onkeln zu besuchen. Rückblickend sicher ist, dass die Lehrerin, die Zadić seinerzeit in der Schule kränkte, nicht nur unsensibel war, sondern zudem auch komplett falsch lag. Textaufgaben sind für die Justizministerin gar kein Problem. Sie hat täglich mehrere zu lösen.

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